Staatsphilosophie mal anders – Exkursion zum Amtsgericht Rheydt

Am 21.01.2019 wagte sich der EF-Philosophiekurs von Frau Eimanns in die unendlichen Tiefen des Rheydter Amtsgerichts. Grund der Exkursion war die Unterrichtsreihe „Gerechtigkeit von Strafen“, mit der sich die zehn Schülerinnen und Schüler derzeit auseinandersetzen. Nach dem Besuch einer Bewährungshelferin folgte nun Teil 2 des praktischen Unterrichts, indem der Kurs mehrere Gerichtsverhandlungen live mitverfolgte.

07:30 Uhr, Frost und eisige Temperaturen von circa -4° Celsius und wildes Menschengestöber an der Bushaltestelle des Odenkirchener Gymnasiums. So startete unsere eintägige Exkursion zum Amtsgericht Rheydt. Nach einer ziemlich holprigen und überfüllten Busfahrt und einem kleinen Fußmarsch standen wir auch schon am Ziel: direkt vor einem etwas älteren, beige-braun-rötlich geklinkerten Gebäude, übrig geblieben aus dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Als sich die Truppe, die noch auf einige Nachzügler warten musste, endlich durch das braune Holztor begab und im Hineinschreiten noch eine Sicherheitsschneise durchquerte, bot sich allen Beteiligten zunächst ein etwas tristerer Anblick: grau, so weit das Auge reicht. Ein Glück, dass das Personal, das uns willkommen hieß, bei weitem nicht so einfältig auf uns wirkte. Man schickte uns zu Saal 13, wo wir den Rest des Tages verbringen sollten. Hinter dem Eingang links, dann immer geradeaus, die Treppe runter bis zur letzten Tür.

Nun, groß war er nicht gerade. Und das, obwohl Saal 13 einer der größten Saale des Amtsgerichts ist. Doch so viel Platz werde, erklärte uns einer der Justizbeamten, dort für gewöhnlich auch nicht benötigt. Für gerade einmal rund 120 000 Menschen aus den südlichen Gladbacher Stadtteilen Giesenkirchen, Odenkirchen, Rheydt und Wickrath zuständig. Meist ginge es um kleinere Vergehen wie Schwarzfahren oder Betäubungsmittelkonsum (auch Drogenmissbrauch), für schwere Verbrechen sei das Amtsgericht Mönchengladbach, welches seinen Sitz im Landgericht hat, verantwortlich. Vorteil der kleinen Räume ist aber definitiv die Übersichtlichkeit, wenn die Zuschauerreihen platztechnisch auch eher einem Wohnzimmer nahe kommen.

Wenige ereignislose Minuten nach der Ankunft betrat unsere Schülergruppe ebendiesen kleinen Raum, um sich der ersten Gerichtsverhandlung anzunehmen. Strafdelikt: Nachstellen und mehrere Drohungen. Gebannt folgten wir dem Prozess, der übrigens immer dem gleichen Muster folgt: Bestätigung der Identität, Anklage durch die Staatsanwaltschaft, Verhandlungen, Gespräche, Diskussionen, Zeugenbefragungen, Vorschlag des Strafmaßes durch die Staatsanwaltschaft sowie das Urteil durch den Richter. Die erste Verhandlung endete schließlich mit den Worten „Lassen Sie den Kalender an der Wand“, so viel sei mir gestattet zu zitieren. Es folgten drei weitere Prozesse (sowie natürlich eine kleine Frühstückspause, in der ein Teil von uns zum Bäcker um die Ecke pilgerte), die sich unter anderem mit Leistungserschleichung durch Schwarzfahren oder zurückgehaltenen Sozialabgaben und sogar leichter Körperverletzung auseinandersetzten. Immer wieder kamen währenddessen neue Erkenntnisse und vor allem unerwartete Überraschungen bis hin zu dreisten Täuschungsversuchen ans Tageslicht, darunter auch eine gefälschte Fahrkarte mit völlig unpassenden Daten. Äußert beschämend war zudem das Verhalten vieler Angeklagter, die mit lautem Wehklagen oder sogar wüsten und aggressiven Ausrufen um sich warfen.

Zwischen den Verhandlungen blieb ein wenig Zeit, um Fragen zu stellen. Gutmütig und sehr ausführlich beantwortete uns der freundliche (und noch relativ junge) Richter, der uns den Tag über begleitete, sämtliche Fragen, die uns auf der Zunge lagen, und war sich um keine Antwort verlegen. Besonders beschäftigte viele von uns, anlehnend an das Verhalten der Angeklagten während der Prozesse, die Frage, wie man während einer Verhandlung mit solch hartnäckigen Unruhestiftern am besten umgehe, natürlich ohne jedwede Autorität fallen zu lassen. Hier verwies der Richter auf sogenannte Ordnungsgelder, die er aber laut eigenen Angaben möglichst nur bei wirklich nervenaufreibenden Leuten einzusetzen suche. Was für ihn „wirklich nervenaufreibende“ Störenfriede waren, blieb uns für den Moment ein ungelöstes Rätsel, doch aus den Erfahrungen des Tages sei zu verlauten: als Richter sollte man gelegentlich schon Nerven aus Stahl haben, um nicht schreiend und entnervt davonzulaufen.

Neben dieser und einer Reihe weiterer fallbezogener Fragen gab es aber auch allgemeine Interessensfragen (natürlich höchst pädagogisch und unterrichtsbezogen!), an denen unser Gerichtsexperte knabbern durfte, darunter auch die schon oft gestellte Frage nach der Voreingenommenheit bei manchen Straftätern, vor allem im Hinblick auf die Schwere des Vergehens und das Verhalten, aber auch, ob ihm manche Fälle denn nahe gehen würden. „Ich glaube, wenn mich die Fälle wirklich mitnehmen würden, wäre ich hier falsch. Ein Richter darf niemals voreingenommen sein, sollte die Angeklagten aber auch nicht abwertend behandeln“, war sein schlichtes Fazit. Eng verknüpft mit dieser Thematik war auch eine Frage nach der Entscheidung des Strafmaßes. Hierzu erläuterte uns der Richter, dass er grundsätzlich nie mehr als zwei Bewährungen gleichzeitig ausspreche. Beim dritten Mal greife er dann lieber zu einer Freiheitsstrafe im kleineren Umfang. „Man tut den Menschen keinen Gefallen;“, merkte er an, „im Gegenteil: die Strafe soll eine nachhaltige Wirkung und eine Chance auf Resozialisierung mit sich bringen. Irgendwann ist das Ende der Leiter erreicht.“

Nach vielen prozesslastigen Stunden mit viel neuem Input und zunehmend mangelnder Konzentrationsfähigkeit brach die Truppe schließlich auf, um zum Gymnasium Odenkirchen zurückzukehren. Wir blicken auf einen langen, aber auch ereignisreichen Tag zurück, den wir Frau Eimanns durch ihre Organisation sowie Herrn Dr. Weusthoff, unserem Richter, der uns mit seiner Aufgeschlossenheit einen guten Einblick in die Welt des Strafrechts geben konnte, zu verdanken haben.

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